Der Autor Thorsten Tietjen ist vielen Clipperianern bestens bekannt. 1989 zu Clipper gekommen, war er als gelernter Maschinenbau-Ingenieur jahrzehntelang technischer Schiffzuständiger von ALBATROS. Zusammen mit Achim Speer als Nautiker betreute er das Schiff während vieler Winterarbeits-Wochenenden in Svendborg. Zahlreiche Reisen führten ihn auf ALBATROS als Maschinist und Steuermann auch zu weit entfernten Zielen.

Die Darstellung gliedert sich in zwei große Teile, wenn man so will, in einen historischen und einen zeitgeschichtlichen. Vorangestellt ist beiden ein Abriss der Geschichte der Ursprungswerft in Hobro im Norden Jütlands, der ältesten, heute noch aktiven Holzschiffswerft in Dänemark. Dabei konnte der Autor auf ein bisher unveröffentlichtes Manuskript von Tom Rasmussen vom dänischen Schiffsbewahrungsfond zurückgreifen und dieses durch eigene Forschungen ergänzen.

Eine besondere Herausforderung war, aufgrund der schwierigen Quellenlage, die Erarbeitung der Historie der Vor-Clipper-Ära. Den Grundstock hierfür bildete eine kleine Sammlung von Dokumenten und Fotografien, welche Achim Speer, langjähriger nautischer Schiffszuständiger für ALBATROS, über viele Jahre hinweg zusammengetragen hatte. Das Schiff war als DAGMAR LARSEN 1942 mit staatlicher Unterstützung für einen Auftraggeber aus Aarhus vom Stapel gelaufen. 1951 wurde es an Erik Lyndahl Thye aus Marstal verkauft, es erfolgte der Namenswechsel in IRIS THY. Neben Schnittholz als Ladung verlegte man sich man sich zeitweise auf den Transport von Kohle und Koks aus ost- und westdeutschen Häfen. 1956 wurde der ursprüngliche Vølund-Glühkopfmotor durch einen 2-Zylinder-Alpha-Diesel ersetzt. Nach einem erneuten Eignerwechsel 1957 verblieb das Schiff in der Koks- und Kohlefahrt, wobei hauptsächlich deutsche und polnische Häfen angelaufen wurden.

Ein völlig anderer Lebensabschnitt begann für das Schiff 1961. Fahrzeuge aus der überalterten dänischen Motorseglerflotte konnten sozusagen ihr Gnadenbrot in der Steinfischerei verdienen, wobei Findlinge vom Grund der Ostsee geholt wurden. Unter neuen Eignern und mit dem neuen Namen ESTHER LOHSE wurden nun Steine gefischt, unter anderem auch für den Bau der Molen beim Fährhafen Rødbyhavn und für den Olympia-Yachthafen Kiel-Schilksee. 1973 sahen sich die Eigner nach einem größeren, stählernen Steinfischerfahrzeug um und verkauften ESTHER LOHSE an die Brüder Davies aus England. Diese takelten das komplett niedergeriggte Fahrzeug als Dreimast-Marssegelschoner auf, installierten im Laderaum Gästekojen und setzten es für Charterfahrten ein.

1978 erfolgte dann der Verkauf des Schiffes an Clipper, Deutsches Jugendwerk zur See, welches, wegen gestiegener Buchungsanfragen ein drittes Schiff benötigte. 1979 ging es unter dem Namen ALBATROS für den Verein in Fahrt. Die nächsten Jahre unter der Clipperflagge verliefen unter dem zum Clipper-Schiff AMPHITRITE einmal formulierten Motto „Traumschiff und Sorgenkind“. Zunächst standen überschaubare Umbauarbeiten an, um ALBATROS für die Aufnahme von insgesamt 27 Besatzungsmitgliedern tauglich zu machen. Nach und nach stellte sich aber heraus, dass die Jahre in der Berufsschifffahrt den Rumpf mehr beansprucht hatten, als ursprünglich angenommen. Umfangreiche Erneuerungen von Spanten und Planken wurden notwendig. Dabei war es ein absoluter Glücksfall, dass die 1867 gegründete Werft Ring Andersen in Svendborg als Reparaturwerft überlebt hatte und hier noch Fachkenntnisse im Holzschiffbau verfügbar waren und sind. Der Autor berichtet aus eigenem Erleben darüber hinaus über die vielfältigen Anforderungen, die im technischen Bereich auftraten. Diese resultierten zum einen aus der Erfordernis, Verschleißerscheinungen an den betagten Maschinen, Aggregaten und Leitungssystemen zu beheben oder diese zu erneuern. Zum anderen machten in den neunziger Jahren eingeführte und später noch einmal verschärfte Sicherheitsrichtlinien für Traditionsschiffe Änderungen und zusätzliche Ausstattungen nötig, die aufgrund der Platzverhältnisse an Bord nur mit großem Einfallsreichtum zu realisieren waren. Der Autor würdigt auch das Engagement einer verschworenen Gruppe von Winterarbeitern, die den weiten Weg nach Svendborg nicht scheuten, um Jahr für Jahr das Schiff für die neue Saison wieder seeklar zu machen.

Aber nicht nur über die Mühen der Schiffserhaltung berichtet dieser zweite Teil des Buches, er erzählt auch von frühen Sommerreisen, die bis zu drei Wochen dauerten und nach Cherbourg, in die west- und ostschwedischen Schären und sogar zu den Aalands-Inseln führten.

Aus schifffahrtshistorischer Sicht sind an der vorliegenden Schiffsbiographie zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen liegt hier keine Jubelschrift vor, die nur weitblickende Reeder, wagemutige Kapitäne, schäumende Bugwellen und wehende Flaggen vorführt. So wird etwa die dänische Seeunfallstatistik zitiert, die in der Zeit als DAGMAR LARSEN und IRIS THY von zahlreichen Grundberührungen und immer wieder über Feuer an Bord berichtet. Auch was die Zeit unter Clipper-Flagge angeht, werden gelegentliche nautische Irrtümer, die Reparaturen nach sich zogen, nicht ausgeklammert. Der zweite Aspekt ist, dass hier in exemplarischer Weise die Biographie eines Schiffes dargestellt ist, das nach einem arbeitsreichen Leben in der Frachtfahrt und in der Steinfischerei einem neuem Verwendungszweck als Traditionsschiff zugeführt und somit vor dem Abwracken bewahrt werden konnte. Der Band ist natürlich ein „Muss“ nicht nur für die ALBATROS-Fans, sondern für alle Clipperianer.

© Wolfgang Bühling