Eines der Phänomene, welche das Familienunternehmen Ring Andersen auszeichnen, ist die Tatsache, daß es den Sprung in das 21. Jahrhundert geschafft hat. Die Holzschiff-Werften der dänischen Provinzstädte besaßen in der Regel weder die Initiative noch die Kapitalkraft für den Übergang zum Stahlschiffbau, wodurch ihr Schicksal früher oder später besiegelt war. Sie produzierten hölzerne Fahrzeuge, solange diese verlangt wurden und verschwanden dann, zuweilen nach einem Intermezzo als Reparaturbetriebe. Um so bemerkenswerter ist es, daß die Werft auf dem Holmen bis auf den heutigen Tag Bestand haben konnte und zwar als einziges der etwa 15 Unternehmen, die in und um Svendborg seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts angesiedelt waren. Ein gut Teil dieser Ausdauer ist der kontinuierlichen dynastischen Abfolge von Schiffbaumeistern zu verdanken, welche die Familie Ring Andersen hervorbrachte. Ein Vorteil, dessen sich andere Firmen nicht oder zumindest nicht über derart viele Generationen hinweg erfreuen konnten.

Die Geschichte der Werft spiegelt in vielfältiger Weise die Entwicklungen des nordeuropäischen Holzschiffbaus wider. Als der Werftgründer 1867 auf Frederiksø einen Schiffbauplatz einrichtete, hatte das Anwachsen des industriellen Güteraufkommens gegenüber dem 18. Jahrhundert eine enorme Steigerung der Nachfrage nach Schiffsraum bedingt. Bis zu seinem relativ frühen Tod im Jahr 1901 konnte sich Jørgen Ring Andersen einer ungebrochenen Nachfrage erfreuen und zahlreiche Neubauten auf Stapel legen, darunter auch relativ große Einheiten, wie Barkentinen von über 200 BRT. Nicht wenige seiner Konstruktionen zeichneten sich durch eine außergewöhnliche Eleganz und Ästhetik aus, die unter seinen Nachfolgern nicht mehr erreicht wurden. Seinem Sohn Johannes, der 1901 mit 21 Jahren die Werft übernehmen mußte und das Heft erst mit seinem Ableben 1964 aus der Hand gab, war es bestimmt, den allmählichen Niedergang des Holzschiffbaus in voller Breite mitzuerleben. Waren zunächst und bis einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg noch große Bramsegelschoner und sogar Viermastschoner gefragt, so bezogen sich die Neubestellungen in den dreißiger Jahren vorwiegend auf kleinere Galeasen und Kvasen. Der zweite Weltkrieg brachte noch einmal einen Schub im Auftragsvolumen mit sich, was sich allerdings nicht in der Anzahl der Neubauten, sondern vorwiegend in der Größe der Schiffe niederschlug. So wurden zwischen 1939 und 1949 insgesamt zehn Schiffe um oder über 100 BRT vom Stapel gelassen, die teilweise nun auch wieder als Dreimastschoner getakelt wurden. Mit REGNBUEN, einer Galeas von 149 BRT, endete dann 1953 der Bau von Frachtschiffen auf dem Holmen.

Dem dritten Werftchef Jørgen Ring Andersen blieb nur noch der Bau von sieben großen Fischkuttern, der letzte ging 1975 zu Wasser. Danach wäre das Schicksal der Werft wohl besiegelt gewesen, hätte das aufkeimende Interesse an der Erhaltung von Traditionsschiffen nicht ein neues und teilweise durchaus lukratives Arbeitsfeld eröffnet. Die Zeiten der großen Aufträge, wie die praktisch einem Neubau gleichkommende Hauptreparatur von RING ANDERSEN 1980-83 sind vorbei. Aber die Holzschiffeigner finden sich nach wie vor auf dem Holmen ein, da anderwärts entweder die Slipkapazitäten zu klein sind oder Fachkenntnisse im Holzschiffbau fehlen. Nicht zuletzt lebt die Werft heute von gelegentlichen nautischen Irrtümern, welche zum Teil aufwendige und damit umsatzfördernde Reparaturen mit sich bringen.

Der Hauptteil des Buches besteht in einer sehr ausführlichen Darstellung der 196 hölzernen Neubauten, die zwischen 1867 und 1975 auf dem Holmen entstanden. Die technischen Daten und die Lebensläufe der Schiffe werden so ausführlich wie die jeweilige Quellenlage es erlaubt, angegeben, dazu finden sich sehr zahlreiche historische Fotodokumente. Der Schiffbauinteressierte wird allerdings Linienrisse der Fahrzeuge vermissen, es finden sich lediglich zwei solche Planzeichnungen, die eines Bramsegelschoners und einer Fähre. Offenbar gilt auch unter dem vierten Werftherrn hier immer noch das althergebrachte Geheimhaltungsprinzip. Die deutschen und dänischen Texte sind jeweils auf einer Doppelseite einander gegenübergestellt. Einführend findet sich ein Abriß der Werftgeschichte, wobei auf die 1946 erschienene Werftchronik zurückgegriffen werden konnte. Ein eingehendes Kapitel ist auch der Topographie der Insel und ihrer Entwicklung gewidmet. Der Ortsunkundige hat allerdings etwas Mühe, sich durch die hier gebotene, übergroße Datenfülle hindurch zu finden. In einem Anhang wird gesondert darauf hingewiesen, daß nicht weniger als 33 Fahrzeuge heute noch nachgewiesenermaßen existieren, zweifellos ein Resultat der stets einwandfreien Bauqualität der Ring Andersen Werft.

Nicht mit aufgenommen in die Schiffsliste sind die Stahlbauten, die vor und während des ersten Weltkriegs vom Stapel liefen. Die Firma hatte, was erstaunlich genug ist, offenbar die finanziellen Mittel, um einen entsprechenden Maschinenpark anzuschaffen, womit unter der Regie von Jens Fisker Andersen, dem jüngeren Sohn des Werftgründers, zwischen 1906 und 1916 15 stählerne Schiffe entstanden, darunter mit dem Schoner KAREN das erste, mit einem Motor ausgerüstete Fracht-Segelschiff Dänemarks. Jens wollte sich dann 1916 auf dem Südteil der Insel zunächst selbstständig machen, brachte dann aber sein Unternehmen in die Firma Svendborg Skibsværft ein, deren Direktor er bis nach dem Zweiten Weltkrieg blieb. Herbert Karting erwähnt dieses Kapitel zwar im Abriß der Werftgeschichte, mag aber seine Gründe gehabt haben, besagte 15 Schiffe in seiner Darstellung auszusparen. Vielleicht dürfen wir hier auf eine separate Publikation zu diesem zweifellos hochinteressanten Aspekt gespannt sein. Ebenfalls nicht angesprochen wurde die große Zahl von Verlängerungen, die vor allem unter dem ersten Werftherrn eine Spezialität des Hauses darstellten und über die im Werftarchiv wohl noch Unterlagen vorhanden sein müßten.

Was die Realisierung dieser Publikation angeht, konnte Herbert Karting auf seine enorme Erfahrung auf diesem Gebiet zurückgreifen. Das schlägt sich nicht nur in der Tatsache nieder, daß es überhaupt möglich war, den Verlag für die Herstellung eines solchen Spezialtitels zu gewinnen. Die Autoren verstanden es darüber hinaus, die Leitung des Svendborg Museums zu interessieren. Dort brachte man Geldmittel für die Besorgung einer professionellen Übersetzung ins Dänische auf. Schließlich konnte das Projekt durch Subskription einer erheblichen Anzahl Exemplare von dänischer Seite, vor allem durch die Firma Ring Andersen selbst, gefördert werden. Wie Herbert Karting mitteilt, war es dabei unumgänglich, den dänischen und den deutschen Text in einem Band zu vereinen. Nach Meinung des Rezensenten ist dies für die Vermarktung nicht unproblematisch, denn wie eine Kurzumfrage unter maritimgeschichtlich interessierten Lesern zeigt, wird der daraus zwangsläufig resultierende, an sich durchaus gerechtfertigte, stattliche Preis manchen potentiellen Käufer zögern lassen. Vielleicht wird in fernerer Zukunft ja eine deutsche Sonderausgabe zu deutlich reduziertem Preis möglich sein.

 

© Wolfgang Bühling